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696 LEONHARD LEHMANN mehr verewigten Mitbruders zu wahren durch einen Nachfolger, der zwar nicht gleichge– richtet, so doch geistig nicht schwächer sein dürfte. Ihr Gedanke richtete sich dabei auf mich. Diese Sicht der Confratres auf ihre eigene geistige Situation und das mir entgegen– gebrachte Vertrauen, das mich überraschte, veranlassten mich zu der Antwort, die Aufga– be zu übernehmen, falls die Provinzleitung von derselben Einsicht getragen mir das gleiche Vertrauen schenkt. Was ich bei einer eventuellen Berufung verliere, ist keine Vertrauens– stellung, sondern eine Aufgabe, zu der mich einmal die Verantwortlichen beriefen, weil sie keinen anderen hatten, und mich darin beließen, weil die von ihnen ins Auge gefassten Nachfolger versagten. Das beeinträchtigte zwar nie meine persönliche Gewissensauffas– sungvon einem verantwortungsvollen Amt und erst recht nicht den, nicht einmal unfreu– digen, intellektuellen und moralischen Einsatz für meine Aufgabe. Was ich aber nie emp– finden durfte, war die Wohltat eines Vertrauens von Seiten meiner Obern. Sie selber werden das nicht leugnen können. Was ich weiterhin aufgäbe, ist eine Gemeinschaft, die ich nie als Gemeinschaft gleicher Verantwortung für das zukünftige geistige Leben der Provinz erlebte, sondern und vielmehr als ein kaserniertes Zusammen ohne innerlich ge– pflegte geistig-religiöse Beziehungswerte. Was ich wirklich vermissen würde, ist die For– schung, die mich nie enttäuschte, wiewohl sie die schwersten Vorwürfe meiner Obern und Mitbrüder auslöste. Der Verzicht auf die Forschung wäre schwer, aber nicht unerträglich, zumal ich mit der Hoffnung ginge, auch bei einer anderen Arbeit noch Zeit für ein Son– derstudium zu finden. Diese Gründe, die meine Antwort im besagten Frankfurter Gespräch motivierten, dürfen für Ihre Entscheidung nicht maßgebend sein. Als Oberen können Sie weit andere Motive leiten, die ich nicht kenne. Wie immer Ihre Entscheidung ausfallen wird, sie wird mich nie als einen Enttäuschten treffen. Sollten Sie jedoch die Sicht und Überzeugung der Frankfurter Mitbrüder teilen und demgemäß Ihre Entscheidung fällen, entfiele für Sie ohne weiteres die in meinem letzten Briefgeltend gemachte Kompromittierung, die in der Bitte um einen anderen Lektor aus einer benachbarten Provinz läge, falls sie überhaupt not– wendig ist. Denn die Situation hat sich für Sie und die ganze Provinz durch den tragischen Tod des P. Titus und die Neubesetzung seiner Frankfurter Position wesentlich geändert. Soweit meine Antwort auf Ihre Frage nach meiner Gesinnung in der Frankfurter Angelegenheit. Wenn allerdings schon eine Gesinnungsfrage an mich gerichtet wird, dann darf es mir auch vergönnt sein, mich ganz zu offenbaren. Aus einer in vielen Enttäuschun– gen geborenen Sehnsucht - niemand würde es mir glauben - würde ich weder in Münster bleiben noch nach Frankfurt gehen, sondern Deggingen wählen, das mir - nun stiller ge– worden - den Gottesfrieden wiederschenken könnte. Die Wahl geschähe freilich nicht - ich gestehe es offen - ohne Seitenblick auf das nahe München und Tübingen, die ich zum Studium schnell erreichen könnte.

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