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Zur Würdigung des Traditionalismus Wir kennen die Ergebnisse der liberal,en Politik. Aber wir wissen nicht, ob die Verwirklichung des traditionali,stischen Programms zu besseren Ergebnissen geführt hätte. Liberale und T,raditionalisten wollten das „wahre Spanien", beide griffen [wie es im neunzehn– ten Jahrhundert üblich war] auf die Tradition zurück, ähnlich wie es nach ihnen wieder die Generation von Achtundneunz,ig tat. Aber jede Partei deutete die Geschi.chte auf ihre Art. Beide Richtungen wollten eine optimale Vertretung der Gesamtnation in den Cortes. Die Wahlergebnisse wurden unter den liberalen Regierungen ver– fälscht, und ihre Politik orientierte sich am Parteiiinteresse. Nie– mand weiß, ob eine traditionalistische Regierung die Wahlen nicht v,erfälscht und ob ihre Politik sich nicht an Standesinteressen orien-: tiert hätte. Die Traditionalisten dachten föderalistisch, aber nicht wenige Liberale taten das auch. Die erste Republik interessierte sich [freilich vergeblich] für Kantone, und Fortschrittliche wie Pi y Margall, Salmer6n und Castelar tri,eben mit ihrem synallagma– tischen Paktdenkcen, das ohne Zweifel zu einem tollen Seperatismus geführt hätte, den DezentraJ.i,sierungsgedanken auf die Spilje. Nie– mand weiß, wohin Mellas Pläne geführt hätten. Das historische Argument von den landschaftlichen Sonderrechten schlägt nicht durch, denn die Geschichte wi,ederholt sich nicht. Kurz und gut, es geht nicht an, den Wert des TraditionaHsmus an den Mißerfolgen des Liberalismus zu messen. Ein radikaler Unterschied liegt freilich in der geistigen Herkunft beider Strömungen. Der Liberalismus wurzelte im Gedankengut de,r französischen Aufklärung und der Traditionalismus im Katho– lizismus. Die Liberalen von Cadiz versuchten noch guten Glaubens, ihre Position histor;isch zu r,echtfertigen; die Späteren gaben den Versuch auf und schuf.en vollendete Tatsachen, die hernach mit großem rednerischem Aufwand gerechtfertigt wurden. Dieses Ver– fahren machte auch im anderen Lager Schule; vielleicht ist nur Balmes mit seiner Formel „Reformieren, um zu versöhnen!" davon verschont geblieben. Die Sozialphilosophie Ifrauses, die später zur geistigen Nahrung der Liberalen wurde, kann geradezu als laizistisch,er Traditionalis– mus bezeichnet werden. Die Disharmonie zwischen Aufwand und Effekt der „harmonischen Lehre" ist tragisch und komisch zugleich. Der Liberalismus der Restauration spaltete sich in die radikale Linie Sagasta-Canalejas und die gemäßigte Linie Canovas-Silvela– Maura, die sich dem Traditionalismus immer mehr näherte. Später waren die Achtundneunziger noch „traditional,istischer'' als Mella, nur mit dem Unterschied, daß s i,e das wahre Spanien mit 111

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